Jürgen Terhag

Kurztexte

Live-Komposition und Live-Arrangement

Live-Komposition und Live-Arrangement verbinden Kompositions- und Arrangiertechnik mit Pädagogik. Ziel dieser methodischen Verfahren ist die Produktion und Variation von Musikstücken, die für eine ganz bestimmte Zielgruppe prozess-orientiert während der Einstudierung entwickelt und dabei ständig neu an diese Zielgruppe angepasst werden.

Beim Live-Arrangement wird beispielsweise aus einem Leadsheet ein Gruppenarrangement für eine ungewöhnliche Besetzung: Ein Leadsheet enthält lediglich Melodiestimme, Text und Akkordsymbole eines Musikstücks; die Anzahl der Instrumente, die Voicings (Lagen) der Akkorde, die rhythmische Gestaltung u.ä. hängt von der jeweiligen Gruppe ab. Im Live-Arrangement wird diese Notations- und Spieltechnik Populärer Musik auf die methodische Praxis der Ensembleleitung übertragen. Durch die nahezu unbegrenzten Veränderungsmöglichkeiten der musikalischen Vorlage wird es auch möglich, ein Arrangement für eine musikalisch oder leistungsmäßig besonders heterogene Gruppe - z. B. beim Klassenmusizieren - schrittweise zu entwickeln oder aus einem Turnaround die rhythmisch-harmonische Basis für einen Song zu gewinnen. Das Arrangement ist also zu Beginn des Einstudierens nicht festgelegt und entsteht schrittweise im Gruppenprozess. Gleiches gilt für die Live-Komposition: Auch sie entsteht „live“ während der Einstudierung, d.h. ihre musikalische Qualität und ihr methodischer Effekt hängt vor allem von der musikalischen Fantasie und dem pädagogischen Geschick der Anleitenden ab.

Voraussetzungen für die Anleitung

  • Befähigung zur musikalischen und methodischen Improvisation
  • Erkennung von Schwierigkeiten, Vorlieben und Abneigungen innerhalb einer Gruppe
  • Musikalisch und gruppendynamisch angemessene Gruppenanleitung
  • Grundlagen der Spieltechnik aller beteiligter Instrumente, Arrangiertechnik, stilistische Sicherheit

Mögliche Schritte des Einstiegs

  • Warmup mit Körper, Stimme, Bodypercussion und Vocussion (Ziel: Kennenlernen der Gruppe, Motivation, Vertrautwerden mit der Methodik)
  • Übergang zum Instrumentarium: Zuerst Rhythmus- (Percussion, Drumset etc.), dann Bass-, später Akkord- und zum Schluss Melodie-Instrumente (Ziel: von der in unserem Kulturraum problematischsten und am stärksten angstbesetzten Ebene des Rhythmus‘ über die weniger problematische [Harmonie] zur unproblematischsten Ebene [Melodie]; in der Partitur tendenziell von "unten" nach "oben")
  • Leitungsübungen: Zählen, Anzählen, Start/Stop, Timing, Dirigat, Anzeigen von Zeitdauern, Formteilen o. Ä. (Ziel: Übertragung der Verantwortung auf die Gruppe)

Methodische Techniken in Stichworten

  • Call and Response-Technik
  • Nutzung der Gruppe als "akustisches Versteck" für unsichere Schüler/innen
  • Spielerisches Verstecken von (notwendigen!) Übeprozessen durch Nutzung von Patternkompositionsweisen
  • Learning by doing
  • Reihenfolge: Handeln - Bewusstmachen - Handeln (Lernspirale)

Literaturhinweise

  • Udo Dahmen: "Musikalische Reisen für Amateure und Profis. Live-Kompositionen als Mittel der Bandprozeßentwicklung" in: Terhag (Hg.) Populäre Musik und Pädagogik Bd. 2. S. 52ff. Oldershausen 1996.
  • Jürgen Terhag: "Live-Arrangement und Live-Komposition. Gruppenorientierte Methoden für Hochschule und Fortbildung", in: Terhag (Hg.) Populäre Musik und Pädagogik Bd. 1. S. 183ff. Oldershausen 1994.
  • ders.: „Formen, Probleme und Perspektiven des Klassenmusizierens“ In: Volker Schütz (Hg.): Musikunterricht heute Bd. 2. Oldershausen 1997.
  • ders. "Vertraute Noten, fremde Improvisation und umgekehrt?" In: Ansohn/Terhag (Hg.): Musikunterricht heute. Bd. 5. S. . Oldershausen 2003.
  • ders.: „Live-Arrangement“ In: In: Jank, Werner (Hg.): Musikdidaktik. S. 167 - 176, Berlin 2005 (2. Auflage 2007)